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Eine bewegende Geschichte

Mai 1945: 150.000 deutsche Soldaten kommen in das Kriegsgefangenenlager Rimini-Belaria unter englisch-amerikanischer Leitung. Die Soldaten leben erbärmlich in selbst gebuddelten Erdlöchern in der Hitze am Strand von Rimini. Die tägliche Essensration beträgt ein Brot für 12 Mann. In dieser bedrückenden und scheinbar so ausweglosen Situation wird eine kleine Pfeifenorgel zum Symbol für den Willen zum Überleben und ein starkes Miteinander „Gemeinsam schaffen wir das“.

Der Klang der Orgel und die Musik verändern die Menschen - Gefangene, wie Bewacher - geben Kraft, Freude und Mut in schweren Zeiten.

Wie alles begann

Im Juni 1945 hängt an einem Brett auf dem Lagerplatz ein Zettel mit folgendem Text:


Suche einen Orgelmacherkollegen zum geistigen Austausch.
Eusebius Schäbung, Erdt-Loch 28 im Plocke 14
zwischen der 11ten Straße gen Rimini und der 6. gen San Marino.


Zwei Orgelbauer finden zusammen und durch die Initiative und unter der Leitung von Orgelbaumeister Werner Renkewitz (ehemals Oberfeldwebel I./274) entwickelt sich eine große und bewegende Geschichte:

Die Müll- und Gefangenenorgel von Rimini

Alte Konservendosen und Kekskanister werden zu Orgelpfeifen. 50 alte Holz- und Lebensmittelkästen werden zu Windladen und Gehäuse verarbeitet, Stahldraht zu Abstrakten, eine alte Lederhose, alte Stiefelschäfte und ein alter Soldatenrock zu Dichtungen von Ventilen und Windladen. Das Lötzinn wird aus Kannistern herausgeschmolzen. Ein Lagerpfarrer unterstützt das Vorhaben und besorgt Materialien aus der Lagerumgebung. Unter den Gefangenen sind zahlreiche Handwerker, Künstler und Architekten und nach und nach findet sich eine Gruppe von bis zu 12 Mitarbeiter zusammen. Die englisch-amerikanischen Lagerbewacher beobachten das Treiben auf dem Lagerplatz zunächst aufmerksam mit skeptischer Sorge, die deutschen Gefangenen könnten Waffen herstellen.

Orgelweihe nach nur drei Monaten

Nach drei Monaten und 3.600 Arbeitsstunden, am Freitag, den 13. September 1945, erklingen um 20.15 Uhr die ersten Töne der Orgel und zwei Tage später, am Sonntag, den 15. September, ist feierliche Orgelweihe. Die Orgel steht im Freien am Strand noch im 4 Meter hohen Gerüst, kunstvoll zusammengefügt aus handgesägten Latten und Brettern, Prinzipal 8´im Prospekt, zwei Flügeltüren rechts und links mit einem großen, überragenden Kreuz in der Mitte: ein Kunstwerk aus Kriegsabfällen.

Zur Orgelweihe kommt der Bischof von Rimini und es muss ein großes und ergreifendes Fest für die Gefangenen gewesen sein. Da standen die vielen Gefangenen, die Posten der Wachkommandos, Offiziere und Soldaten aller Waffengattungen, Deutsche, Amerikaner, Engländer, Franzosen, Polen und Italiener. Ehemalige Gegner in der Feierstunde vereint.

Miteinander haben wir etwas Ungewöhnliches und etwas eigentlich Nichtmachbares geschafft. Die Orgel spielt. Ein Organist komponiert eigens für die Einweihung ein Konzert, der große 1000-Mann starke Männerchor singt und der Pfarrer spricht bewegende Worte: „Lasst uns an der Orgel ein Beispiel nehmen! Die Pfeifen der Orgel, kleine und große, alle klingen miteinander, jeder gibt sein Bestes und trägt miteinander zum Gemeinsamen bei.“ Der Bischof spendet den Segen und tausende sangen „Großer Gott, wir loben dich“. Die Orgel wird auf den Namen „JUBILATE“ getauft.

Die Orgel wurde fortan nun jeden Morgen zur Frühmesse und abends um 22.30 Uhr gespielt. Ein Lagerinsasse berichtet: „Das Bild der Orgel war unvergleichlich schön, besonders wenn das Mondlicht auf den geöffneten Prospekt fiel. Vor dem flimmernden Sternenhimmel des Südens stand das mächtige silberne Kreuz, das in der Mitte der Orgel überragte.“

Der Klang der Orgel verändert die Menschen und das Lagerleben. Die Harmonie überträgt sich auf die Gefangenen und auf die Bewacher und es entstand eine friedliche Atmoshpäre.

Die kleine Orgel wird großes Konzertinstrument

Die Orgel sollte nicht im Freien überwintern und im Herbst 1945 wurde eigens eine Halle für die Orgel eingerichtet. Die Gefangenen bauen eine ehemalige Flugzeughalle zur „Deutschlandhalle“ um mit 4.000 Plätzen mit einem reichen Angebot an Konzerten und Theateraufführungen (zahlreiche Programme haben sich erhalten). Zur Christmette 1945 erklang die Orgel erstmal am neuen Standort erweitert um einige Register mit folgender Disposition:


Manual:
Principal 8´ – Gedackt 8´- Octava 4´- Flöte 4´- Nasat 3´- Superoktav 2´-
Terz 1 3/5´- Mixtur 3fach 1 1/3´

Pedal:
Subbaß 16´- Bordun 8´- Nachthorn 4´- Posaune 16´
502 Pfeifen

Manualumfang: 48 Tasten

Balganlage: hydraulisch


Für die Bemalung der Orgel wurde vom englischen General ein Wettbewerb unter dem Gefangenen ausgeschrieben und die Flügeltüren wurden prächtig bemalt mit zwei Engels-Gestalten in einem Blumengarten mit Laute und Fidel von Kunstmaler Peter Recker. Die tiefe C-Pfeife vom Principal 8´ersetzt das große Prospektkreuz in der Mitte vom Prospekt. In der Folgezeit gibt es zusammen mit der Orgel ganze Konzertreihen, eine Lagerorchester entsteht, es gibt Sinfoniekonzerte, Uraufführungen und Lagergottesdienste; es wird berichtet, dass die Orgel mitunter von morgens bis abends gespielt hat. So ging es über zwei Jahre hinweg bis 1947. Werner Renkewitz und seine Gefangenenorgel wurden schnell bekannt und berühmt. Der englische Diplomat und ehemalige Deutschlandminister John Hynd und auch Konrad Kardinal von Preysing, Bischof von Berlin, kommen nach Rimini um die Orgel zu hören. Die Engländer waren so beeindruckt, dass sie kurzerhand Orgel und seinen Erbauer nach England „entführen“ wollten.

Bei Lagerauflösung kam die Orgel in eine Kirche nach Rimini, wo sie einem Brand zum Opfer gefallen ist. Nur wenige, verkohlte Teile sind noch erhalten.

Es klingt weiter

Die Riminiorgel – eine wahre Geschichte! Die Geschichte vom tragischen Soldatenschicksal, eine Geschichte von Krieg und Frieden, eine herzergreifende Geschichte von Menschen für Menschen. Eine kleine Orgel wurde Überlebenssymbol für eine ganze Mannschaft. Der Bau und der Klang der Orgel und die Musik haben die Menschen aufgerichtet, Kraft gegeben und das unglaubliche und faszinierende ist: Es klingt weiter in den Menschen, auch heute noch nach 70 Jahren. Zahlreiche Überlebende vom Lager Rimini-Belaria und alle, die die Orgel gehört haben geht es noch heute im wahrsten Sinne des Wortes „unter die Haut.“ Da fließen Tränen. Die Erinnerung an die Orgel, die Erinnerung an das Miteinander im Lager, der Überlebenswille, das „Großer Gott, wir loben Dich“ zusammen mit der Orgel – das vergisst man nicht, das klingt weiter ein ganzes Leben lang.

So berichten es die heute über 90-jährigen alten Herren. Viele haben sich in den vergangenen 70 Jahren auf den Weg zurück nach Rimini gemacht auf der Suche nach ihrer Orgel und in Erinnerung an eine große Geschichte.

In einem Zeitungsbericht von 1945 lesen wir: „Prunkstück der ganzen Lagerstadt mehr als nur ein Stück Robinson-Romantik. Ist diese Orgel aus Konservenblech und altem Schuhleder nicht ein Zeugnis dafür, daß selbst Schrecken und Nöte vieler Kriegsjahre nicht imstande sind, die uralte Sehnsucht der Menschen nach Schönem und Edlen abzutöten? Und jeden, welche am Menschengeschlechte verzweifeln wollen, mögen daraus neue Mut schöpfen, um an das Gute im Menschen zu glauben“.

Die Inschrift über dem Manual der Orgel lautet:

„Wer es auch sei, der einst
wir sind dann weit –
die Hand wird auf die Tasten senken,
er möge fromm erschauernd
einer dunklen Zeit und der Gefangenen gedenken.“

Eine kleine Orgel macht große Schlagzeilen

Die Geschichte der Gefangenenorgel hat sich in den 60er Jahren schnell verbreitet. Es gibt zahlreiche Zeitungsberichte (auch in der großen Boulevardpresse) und auch ein Radiointerview von Werner Renkewitz im WDR. Hier ist die Riminiorgel mit dem kleinen C-Dur-Präludium von J.S. Bach zu hören. Es wird berichtet, dass sich ein US-General die Riminiorgel in Amerika nachbauen ließ.

Und wie könnte es heute, nach 75 Jahren, weitergehen?

Unser Traum ist es, dass die Riminiorgel wiederersteht als Erinnerung, Mahner und Symbol für den Frieden in Europa.

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